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Textkritik

Ziel der Textkritik: Welche Varianten eines Textes sind am nächsten am Original und welche wurden falsch kopiert. Zur Beurteilung werden Handschriften, Lektionare und Übersetzungen des Textes herangezogen.
Bereits Origenes (ca. 185-254) hatte festgestellt, dass die verschiedenen Abschriften unterschiedlich sind («But it is a recognized fact that there is much diversity in our copies, whether by the carelessness of certain scribes, or by some culpable rashness in the correction of the text, or by some people making arbitrary additions or omissions in their corrections», vgl. mit dem Zitat von Hieronymus). Er kann möglicherweise als erster biblischer Textkritiker (Stichwort: Hexapla) überhaupt gelten.

Fragestellungen betreffend Varianten

Wie häufig ist die Variante?
Wie alt ist die Variante?
Wie gross ist das (geographische) Gebiet, in der die Variante vorkommt?
Qualität des Schriftstückes (Vertrauenswürdigkeit)?
Welche Gruppe von Textzeugen unterstützen die Variante (zB Alexandrinisch, Westlich etc)

Welche Variante wird bevorzugt

Die «Experten» haben verschiedene Regeln formuliert, mit denen bei Textunterschieden die bessere Variante gefunden werden sollen. Diese Regeln sind spekulativer Natur und kaum wissenschaftlich.
Lectio difficilior potior (Die schwierigere lesart ist stärker): Diejenige, die zum Lesen schwieriger ist (unharmonisch, kompliziert...), da diejenigen eher vereinfacht werden.
Diese Regel geht auf Desiderius Erasmus zurück.
Lectio brevior: Die kürzere Lesart ist zu bevorzugen. Der Kopist ist darauf bedacht, möglichst nichts wegzulassen. So werde der Text tendentiell länger, nicht kürzer.
Lectio maioris: Die Mehrheitslesart soll bevorzugt werden.
Lectio theologicas: Die Lesart mit der besten theologischen Aussage soll bevorzugt werden.
(Vermutete) Harmonisierungen (Beinflussung durch Parallelstellen) werden nicht bevorzugt.
Zum Beispiel behauptet der Jüngling in Mt 19:20 gemäss einigen Manuskripten, dass er alle Gebote gehalten habe, in anderen Manuskripten, dass er sie von seiner Jugend an gehalten habe. In den Parallelstellen Mk 10:20 und Lk 18:21 haben alle(?) Textzeugen «von meiner Jugend an».
Weil vermutete Harmonisierungen des Kopisten nicht bevorzugt werden, muss nun in Matthäus nicht notwendigerweise mit «von meiner Jugend an» übersetzt werden.
Es kann eine (subjektive) intrinsische Wahrscheinlichkeit für Variationen gemacht werden: Stil / was wollte der Autor wohl sagen etc.
Dann kann eine (subjektive) Abschriftswahrscheinlichkeit gemacht werden: Was hat der Schreiber am ehesten gemacht; wurde der Text vorgelesen, oder arbeitete er selbst etc.
Ausserdem werden ältere Lesarten bevorzugt (Genealogische/eklektische Methode).

Autograph

Die Autographen sind die Dokumente, die vom Autor tatsächlich geschrieben wurden.
Im Falle der Bibel wurden diese Autographen übernatürlich von Gott eingehaucht. Diese haben wir nicht mehr. Wir haben aber noch Kopien davon. Da das Herstellen solcher Kopien kein übernatürlicher Prozess ist, stellt sich die Frage, welcher Text denn die Autographa enthielten.
Kopien von Autographen sind Manuskripte (Handschriften)

Kollation

Die Kollation bezeichnet den Vergleich der vorhandenen Texte bezüglich Vollständigkeit und Richtigkeit.

Archetyp

Der Archetyp ist der «jüngste» gemeinsame «Vorfahre» aller Textzeugen.
Er muss nicht unbedingt der Urtext (das Original) sein, sondern kann bereits eine Abschrift (einer Abschrift…) des Urtextes sein.

Kontaminierte Texte

Ein Text ist kontaminiert, wenn er aus mehreren Vorlagen abgeschrieben wurde (also mehrere Eltern hat), oder beim Abschreiben «korrigiert» worden ist.

Kritische Apparate

Der erste kritische Apparat des griechischen Neuen Testamentes wurde 1551 (1550?) von Robert Estienne veröffentlicht.

Ursachen der Änderung des Textes

Eine aberration oculi («Abschweifen der Augen») kann bei Homoioteleutonen (Nahestehenden Wörtern die gleich enden) zu einer Veränderung des Textes führen.
Ein Beispiel dafür ist, wenn aus «Es liegt in der Natur der Sache» ein «Es liegt in der Sache» wird.
Verwechslung ähnlich aussehender Buchstaben: im Hebräischen Alefbeth gleichen sich zum Beispiel das Kof (כ) und das Beth (ב) oder das Dalet (ד) und der Resch (ר).
Eine Verwechslung von כ mit ב könnte in Neh 12:3 oder Neh 12:14 (Schekanja/Schebanja) stattgefunden haben.
Eine Verwchslung von ד mit ר (Haroriter, Haroditer) evtl. in 1. Chr 11:27 (vgl 2. Sam 23:25, Ri 7:1).
Haplographie: die versehentliche Auslassung von zwei gleichgeschriebenen aufeinanderfolgenden Textteilen (gegebenfalls oder gebenenfalls statt gegebenenfalls)
Dittographie: die versehentliche Doppelschreibung eines Textelements, also zum Beispiel «gegebenenenfalls».

Misc

Auch wenn Textkritiker darüber diskutieren, ob eine Passage im Urtext stand oder nicht, sagt dies noch nichts darüber aus, ob die in Frage stehende Aussage wahr oder falsch ist; sie kann wahr sein auch wenn die Begebenheit im Grundtext nicht festgehalten sind. (wie zum Beispiel bei der Pericope Adulterae).

Zitat von Hieronymus

Hieronymus schrieb im Vorwort zu den vier Evangelien: «…why not go back to the original Greek and correct the mistakes introduced by inaccurate translators, and the blundering alterations of confident but ignorant critics, and, further, all that has been inserted or changed by copyists more asleep than awake?»

TODO

Robert Waltz' Encylopedia of New Testament Textual Criticism
Die Claremont Profile Method ist eine von Ernest Cadman Colwell entwickelte Methode mit der Manuskripte klassifiziert werden können.
Aug Augustinus
Bea Beatos of Liébana
Cass Cassiodorus
Cl Clement of Alexander
Cn John Cassan
Cry Cyril of Alexander
Cyp Cypian
Did Didymus of Alexandria
Eus Eusebius
Hes Hesychius
Hier Hieronymus
Irˡᵃᵗ Irenäus
it Itala
vgˢᵗ Vulgata Stuttgartensia (1983)
Sy Syrisch / Syᵖ = Peschitta
Tert Tertullian
Tyc Tyconius

See also

Einer der Begründer der Textkritik des Neuen Testamentes ist Johann Albrecht Bengel.
Karl Lachmann, Andrew Edmondson, Holger Strutwolf
Institut für Neutestamentliche Textforschung
Familien von Manuskripten
Stemma

Links

Der evangelicaltextualcriticism Blog. Offenbar schreibt auch Dirk Jongkind darin.

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